Wildwasserpaddeln auf dem Lainioälven

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Weit im Norden Schwedens strömt ein Fluss, den nur wenige kennen. Obwohl er vielleicht einer der schönsten Wildwanderflüsse Skandinaviens ist. Eine Geschichte über 60 Flusskilometer Wildnis, dort, wo sich Wolf und Bär "Gute Nacht" sagen. Wir hocken an einem Flussufer in Jårkastaka im Zelt. Keine fünf Meter entfernt strömt er vorbei, der Lainioälven, und gluckst zufrieden vor sich hin. Vor dem Zelt liegen drei Faltboote. Bei uns sitzt Magnus, ein Schwede aus Karlstad, der uns bis gestern gänzlich unbekannt war. Wir schmiedeten einen Plan: Die längste gewundene, blaue Linie auf seiner Schweden-Karte im Maßstab 1:250.000 sollte unser Fluss werden - das Abenteuer Lainioälven.
Unser Wissen über den Fluss ist mager. Eine Dame vom örtlichen Fremdenverkehrsamt in Övre Soppero hatte uns noch eine Flussbeschreibung auf Schwedisch kopiert und mit Anmerkungen auf Deutsch versehen. Ein Bekannter berichtete am Telefon, dass er den Lainioälven schon einmal auf einem Jagdausflug befahren hatte: "Nur eine Stromschnelle mussten wir umtragen. Und Vorsicht: die Steine liegen immer genau unter der Wasseroberfläche". Dem Gegenüber stand ein Absatz in einem Reiseführer, der den Lainioälven praktisch nur für Masochisten empfahl. Ein anderer Satz dort hatte unser Interesse allerdings noch verstärkt: "Die Chance, hier Bären und Wölfe zu sehen, ist größer als Menschen anzutreffen". Tatsächlich fließt der Lainioälven auf über 260 Kilometern durch absolute Wildnis, um sich nach einer aufregenden Reise über Schwälle und Stromschnellen mit dem Torneälven zu vermählen.
Mal Freude bringend, mal nervenaufreibende Hindernisse, begannen mit den ersten Metern auf dem Fluss. Ein bedrohliches Rauschen kündigte gleich zu Beginn eine mächtige Stromschnelle an – wohl als Einstimmung auf alles, was uns der Lainioälven in den nächsten Tagen bieten würde.
Es schien keine Ideallinie zu geben, überall ragten große Steinblöcke aus den schäumenden Fluten. Als Kapitän mit den meisten Paddeljahren auf dem Buckel ging ich die Befahrung als erster an, holte kräftig Schwung und schoss über und zwischen den Hindernissen hindurch ins sichere Unterwasser. Nicht glorreich, aber immerhin durchgekommen, dachte ich noch bei mir als Kerstin als dritte im Bunde zwischen zwei Felsen stecken blieb. Zu allem Unglück drehten sie die Wasserkräfte, so dass sie plötzlich mit einem flussab gerichteten Heck festsaß. Uns stockte der Atem, ihr Adrenalinpegel stieg. Zu beiden Seiten des Bootes war es so tief, dass sie sich nicht abstoßen konnte. Als wollte uns der Flussgott zu Beginn noch einmal warnen und zur Vorsicht ermahnen, löste der Lainioälven selbst das Problem mit der nächsten Welle und schob Kerstin die Schnelle vollends hinab. Am Ende einer langen Wildwasser-Passage, die in einer tückischen 90°-Kurve endet und uns alle noch einmal durchnässt, errichteten wir unser erstes Lager.
Die Zeit der Mitternachtssonne liegt jetzt, Mitte September, schon lange zurück, das Thermometer fällt nachts regelmäßig unter Null Grad. Dafür können wir uns tagsüber an einer Farbintensität der Umgebung erfreuen, als säßen wir inmitten eines Malkastens. Moose, Flechten, Büsche und Bäume lodern wie bunte Fackeln im Zeichen des schwedischen Spätsommers. Die Einheimischen sind mächtig stolz auf ihre "fünfte Jahreszeit".
Der nächste Morgen kriecht über den Horizont und streichelt die steif gefrorenen Zelte mit ihren Strahlen. Eiskristalle glitzern im Licht, spritzen in alle Richtungen, als ich den Reißverschluss unseres Iglus öffne. Nebelschleier ziehen vom Wasser auf, ein saftig blauer Himmel überspannt das Land. Der Lainioälven strömt gen Südosten, die Sonne strahlt ins Gesicht, selbst mit Sonnenbrille blenden die blitzenden Wellen. Kleine Stromschnellen benetzen mein Oberdeck mit funkelnden Tropfen und immer ist die berühmte Handbreit Wasser unterm Kiel. Ein Segen für die Faltboote. Abgesehen von einzelnen Steilufern ist das Land zu beiden Seiten flach. Direkt am Wasser stehen Birken, mal grün, mal gelb, orange oder rötlich, in vollem Blätterkleid oder schon kahl, dahinter folgen Kiefern und Fichten.
Laut der schwedischen Flussbeschreibung vom Fremdenverkehrsamt soll nach vier Kilometern die erste schwere Stromschnelle liegen. Wir schätzen die Entfernung und tasten uns vorsichtig um die Flussbiegungen. Ein Rauschen, das stärker ist als alles zuvor, lässt uns aufhorchen: Es ist soweit. Nach eingehender Besichtigung von Land kramt Magnus seinen Wildwasserhelm hervor, verpackt sich wasserdicht in seiner roten Nussschale und startet mit einem Jauchzer. Schnell schwebt er auf einer spiegelglatten Stromzunge aufs weiße Wasser zu, dann beginnt sein Ritt durch die Wogen. Durch den Sucher meiner Kamera hatte es bei ihm und auch bei Kerstin ganz locker ausgesehen, doch als mein Bug in die Fluten eintaucht, ist plötzlich alles ganz anders: Wild schäumend schlagen sie über meinem Deck zusammen, das Boot bockt nach links, von wo es von einem Brecher wieder nach rechts verfrachtet wird. "Wirklich klasse" - da sind Magnus und ich uns einig.
Drei Kilometer weiter rauscht es noch lauter. Nach einer kurzen Besichtigung von Land aus steht fest, dass wir uns ganz links durchs Getöse wagen wollen, das wir irgendwo zwischen Wildwasser drei und vier einstufen. Über den ersten Absatz schießen wir hinein in ein halbes Dutzend Brecher. Fiese Steine und klappernde, hochschlagende Ruderblätter wie zu Beginn habe ich tags darauf schon fast vergessen, als es plötzlich in einer kleinen Stromschnelle direkt vor mir verdächtig schäumt und ich mit meinem langen Kahn nicht mehr ausweichen kann. Ich laufe voll auf, bleibe einen Moment hängen, es poltert, knirscht und rumpelt unangenehm, dann ist der Spuk auch schon vorbei.
Mittlerweile beherrschten wir die Lage und lernten unsere Boote kennen. Wir waren auf den unsichtbaren Sog nach außen ebenso vorbereitet wie auf die drohenden Untiefen, die sich an der Innenseite der Biegung aufbauten. Bald strömte der Lainioälven gerade und breit wie eine Autobahn dahin. Als wir eine Stunde später zur Kaffeepause an Land gehen, habe ich plötzlich die Handbreit Wasser nicht mehr unterm Kiel, sondern direkt darüber, im Laderaum. Drei Risse zieren die Bootshaut. Mit Hilfe einer Rolle Isolierband komme ich aber trocken weiter bis zu einer urigen Blockhütte bei Övre Soppero. Paddler und Wanderer können dort auf den Pritschen nächtigen, sich am offenen Kamin wärmen und ihr Süppchen am Gasherd köcheln.
Empfangen werden wir von Olaf. Der Schwede kommt uns barfuss, mit hochgekrempelten Armen und einem verwaschenen Hemd entgegen. Ein echter Aussteiger, der einst als Matrose unterwegs, später in den heimischen Wäldern als Holzfäller tätig war. Nachdem er uns eine Weile beobachtet hat, spricht er uns in einem klassischen Deutsch mit Akzent an: "Woher kommt ihr"?
In der über 80 Jahre alten Hütte sitzen wir lange zusammen, Olaf erzählt aus seinem Leben und der Gegend, vom Erbauer der Blockhütte und gruseligen Begebenheiten in ähnlichen Hütten in seiner Jugend. Sein selbstgebrauter Schnaps könnte wahrhaftig Tote zum Leben erwecken. Olaf schätzt den Alkohol-Gehalt auf ca. 50% – nach dem ersten Schluck sind Magnus, Kerstin und ich uns einig, dass es eher 70 sein müssen.
Am nächsten Morgen geht es weiter nach Nedre Soppero. Die schönsten Stromschnellen liegen hinter uns, das Tal weitet sich, die Strömung lässt nach. Es gibt sandige Böschungen und einzelne Strände. An einem prächtigen, großen Exemplar, das so gar nicht schwedisch anmutet, verbringen wir unseren letzten Abend. Und der wird genau so, wie man es sich für einen letzten Abend einer wunderschönen Tour vorstellt. Nach einem leckeren Abendessen sitzen wir noch lange am knisternden Lagerfeuer. Plötzlich beginnt am Himmel wieder dieses einzigartige Schauspiel – Nordlichter! Nach dem fast regelmäßigen Eintreten in den letzten Nächten, sollten wir uns eigentlich daran gewöhnt haben. Wahrscheinlich aber ist das unmöglich. Der Himmel gerät in Brand, ehrfurchtsvoll, mit offenen Mündern stehen wir am Strand, die Köpfe im Nacken, und können uns nicht satt sehen. Man will etwas sagen, und doch fehlen die Worte. "Schön", vielleicht. So unbeschreiblich schön, wie die gesamte Tour des "Abenteuers Lainioälven".

 

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