Ein Erlebnisbericht von Wolfgang Haase
Von Rostock nach Motala
In Schweden wird ein Radfahrer Cycler
genannt. Nun das bin ich lange Jahre nicht gewesen, aber angeregt durch so
einige Radfahrer, die mir bei meinen Reisen durch Norwegen, Finnland und
Schweden begegnet sind, würde ich das gerne sein. Ein Sportler bin ich
wahrlich nicht, aber mich interessiert die Frage, ob man das jenseits von
50 vielleicht noch werden kann. Die mir begegneten
Langstreckenfahrradfahrer habe ich in den unterschiedlichsten Situationen
gesehen - sich gegen den Wind und Sturm stemmend, eingeregnet, allein an
Rastplätzen und dankbar aus einem Wohnmobil gereichte Tasse Kaffee. Was ist so faszinierend an dem Stress, fragte ich mich und ich führte es
auf die Formel zurück: etwas ganz allein mit sich und gegen sich selbst
durchzuführen - ja faktisch obdachlos, nur mit Rad und Zelt loszuziehen
und der Kompassnadel Richtung Norden zu folgen. Eigentlich, außer am Ziel,
nirgendwo wirklich anzukommen, keinem anderen als dem eigenen Erfolgsdruck
zu unterliegen. Das war das Entscheidende für mich, die faszinierende
skandinavische Umwelt unverfälscht und hautnah zu erleben. Ich meinte,
allen Unkenrufen entgegnend "Mein Gott, das muss doch zu schaffen sein".
Fast ein Jahr Vorbereitung, viel trainieren, immer wieder verwerfen der
geplanten Route, das Zusammentragen der Ausrüstung, all das ist jetzt
beendet.
Nun,
was habe ich alles dabei? Am wenigsten Kleidung. Das habe ich so
zusammengestrichen, dass es in eine Packtasche passt. Am meisten Technik
für meinen Film: Videokameras, Ladegeräte, Fotoapparat, Minidiskrekorder,
etwas Licht, ein vollwertiges Stativ, viele schwere Akkus, Tele- und
Weitwinkelobjektiv, Digitalbänder, Stromadapter, Verteiler,
Fahrradwerkzeug, Ersatzteile, jede Menge Regenkleidung für mich und
die Taschen, Zelt, Isomatte, Schlafsack, Gaskocher, Regengarmaschen,
Handschuhe, Klebebänder und und und. 45kg - das ist nicht nur eine Zahl,
sondern ein ernst zu nehmendes Problem bei Hügeln und Bergen.
Zurückblickend kann ich aber sagen: für mein Vorhaben, den Polarkreis zu
erreichen, brauchte ich irgendwann fast alles, was ich dabei hatte. Aber
unterwegs habe ich es verflucht. Jetzt, am 29. Mai 2004, geht es los. Mit der Fähre 'Delphin' von der schwedischen
TT-Line
beginnt meine Reise. Wie es aber am Ende kommt - ich weiß es nicht. Ich
bin neugierig, sehr gespannt und hoffe auf schöne Zeiten, gute Kontakte
und dass es mich möglichst weit bringt. All meine Streckenplanungen waren schon in Trelleborg Null und nichtig.
Ich wollte eigentlich die E 108 benutzen, aber Verbotsschilder untersagten
die Benutzung durch Fahrräder. Zähneknirschend ergab ich mich dem Radweg
nach Ystad und brachte erst einmal diese 60 km hinter mich. Natürlich,
dies ist bei sonnigem Wetter eine Traumstrecke. Die Ostsee, Leuchttürme,
aber meine Strecke ist pfutsch. Mehr als ein Dutzend Mal bin ich in
Trelleborg angekommen, jedoch noch nie mit dem Fahrrad. Um Himmels Willen,
eine neue Route muss her. Ystad aber ärgert mich nicht. Es ist die Wirkungsstätte von Kurt Wallander,
jenem Kultpolizisten aus einem guten Dutzend Romanen von Henning Mankell.
Ich kenne sie mittlerweile alle. Also schau ich mich hier erst einmal um,
ehe ich am Abend am Campingplatz von Ystad ausgeraubt werde. Nein, nicht
wirklich. Mein winziges Zelt nimmt ganze 2 m2 in Anspruch. Die
Campingplatzgebühr dafür sind stolze 100 Kronen, etwa 11 Euro. Aber nicht
genug, ich darf überhaupt erst auf den Platz, wenn ich die schwedische
Campingkarte gekauft habe. Also noch einmal 90 Kronen. Eilig bringt man
mich auf einen Platz zwischen Wohnmobilen, Campinganhängern und Autos.
Mein Zelt wird aus den Fenstern mitleidig beäugt. Passt der da überhaupt
rein, kann so etwas schön sein? Auch am nächsten Tag ist das Wetter schön und ich fahre weiter Richtung
Norden. Aber der späte Abend und die Nacht kommen, jedoch kein
Campingplatz. Egal, ein See, etwas Rasen - perfekt. Ein wunderbarer
Nachthimmel begleitet mich in den Schlaf. Der nächste Morgen - alles ist
fantastisch, das Wetter ist einfach nicht zu verbessern. Also weiter. Das
Tagesziel ist ein Campingplatz in Urshult. Alles ist wie ein wundervoller
Traum, aber gegen Mittag zieht dann Wind auf - Nordwind, also Gegenwind.
Was ich hier aber noch nicht weiß, er wird mich von nun an fast täglich
begleiten und vom Kräfte raubenden Ärgernis zum echten Problem werden.
Heute, an diesem ersten Tag kostet es erheblich mehr Kraft. Viel später
als vorgesehen erreiche ich den Campingplatz. Sein Verwalter ist längst
nicht mehr da. Egal, ich werde am nächsten Tag zahlen. Ohne große
Umschweife verkrieche ich mich in mein Zelt. Ich bin geschafft - mehr als
60 km heftiger Gegenwind fordern halt ihren Tribut. Ich gehe gerne auf Campingplätze, aber nicht auf die großen kommerziellen.
Es lässt sich zwar manchmal nicht umgehen, aber heimisch fühlt man sich
dort nicht. Urigkeit finde ich nicht in Duschbatterien mit Münzeinwurf, wo
Wohnmobil neben Wohnmobil steht. Die von allen möglichen Organisationen
getesteten Plätze mit sonst wie vielen Sternen interessieren mich nicht
die Bohne, sondern nur die Naturplätze mit dem Betreiber, der seine Gäste
individuell und unverstellt betreut.
Irgendwann sind die mitgebrachten Lebensmittel verbraucht.
Einkaufen ist dann angesagt. Also man steht mit einem voll gepackten Fahrrad vor einem
Supermarkt. Ja, was nun - wie sichert man die Werte, die die 45 kg
darstellen? Darauf gibt es nur eine Antwort: gar nicht! In den ländlichen
Gebieten Norwegens und Schwedens hat faktisch niemand ein Fahrradschloss.
Man stellt es am Buswartehäuschen oder sonst wo ab und sieht eben nur zu,
dass es nicht umfällt. Selbst den Sturzhelm hängt man nur an dieses
Fahrrad. Niemand wird hier irgend etwas stehlen.
Der nächste Tag war nicht mein Tag. Auf allen Dorfstraßen kläfften mich
hinter jedem Zaun ein Hund an. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Im
Bemühen, nicht die verkehrsreiche E 30 zu fahren, weiche ich auf
Landstraßen niedrigster Ordnung aus. Alles wirkt logisch und ich umfahre,
ja umkämpfe einen endlosen See. Irgendwo erwarte ich einen Abzweig
Richtung Norden, der aber nicht kommt. Die wenigen Abzweigungen verweisen
auf Orte, die nicht in meiner Karte stehen. Denen folge ich auch nicht.
Nach 42 km und fast 5 Stunden, ich kann es nicht fassen, bin ich wieder am
Ausgangspunkt. Ich sitze lange im erst besten Buswartehäuschen und es
kostet so einige Kaffee, bis ich mir sage: weiter du Trottel, hast den
ganzen Tag verloren, aber nicht die ganze Tour. Schließlich fahre ich
zurück nach Lamhult.
Der ausgewiesene Campingplatz ist verschlossen und erweist sich als Bade- und
Zeltwiese. Drei Biker finden mich und retten meine Laune, indem sie mir den
Yachthafen des Ortes zeigen. Ich werde den Tag hier beschließen. Zu essen habe ich auch so gut wie nichts. Dieser Tag führte mich an keinem
Geschäft vorbei. Der nächste Tag gelingt mir gut, trotz des ersten Regen
auf dieser Fahrt. Ich erreiche am frühen Abend einen See vor Eksjö.
Zufrieden, aber auch ein bisschen geschafft, setze ich mich an einen Tisch
am See. Unerwartet kommt ein Mann auf mich zu und bringt mir ein frisch
gegrilltes Steak - einfach so. Er ist aus Dänemark mit seinem Hund Bimbo.
Ich sehe so aus, als könne ich das gut gebrauchen und sie hätten sowieso
eines zuviel gegrillt. Später erfahre ich von ihm, dass der See dem
schwedischen Angelverband gehört und zelten ohne Entrichtung von 120
Kronen Angelgebühr nicht gestattet ist. Aber im Laufe des Abends kommt ein
Verwalter und erklärt mir und meinem dänischen Freund knapp und über mein
Zelt schmunzelnd: so lange dieses Zelt so klein ist, kann es über Nacht
ruhig hier stehen. Gegen 3:00 Uhr erwache ich und betrachte den
See, über
den der Morgennebel zieht. Aber ich werde besser noch etwas schlafen. An diesem Tag will ich einige der vorgestern verlorenen Kilometer
aufholen. Die ersten 50 km dieses Tages waren harte Arbeit. Es ist kein
bergiges Land hier, aber es geht ständig zwischen Null und 300 Meter rauf
und runter. 39 km habe ich noch vor mir. Wer so eine Reise antritt, muss
wissen, dass es nicht auf ebener Strecke ans Ziel geht. Die große
Belohnung nach so einer Fahrt ist einfach nichts zu tun, hören wie die
Vögel zwitschern, den Wind zu hören, der einmal nicht gegen mich ist und
einfach nichts zu machen. 3 Akkus sind leer, ich muss Wäsche waschen und
an ein Bett denke ich wie an einen Palast. Mein Entschluss steht fest:
heute fahre ich in ein vadrarhem. Es liegt nur einige Kilometer abseits
meiner Strecke. Es sollte in jeder Hinsicht ein super Abend werden. Auf meiner nächsten Teilstrecke liegt Motala vor mir. Wie ich sehen werde,
eine der schönsten Städte auf der ganzen Tour. Die Sonne scheint, der
Himmel ist strahlend blau und die Menschen zieht es in die Parks. Eine
Atmosphäre von genießerischem Vergnügen liegt über der Stadt. Die
Geschäfte haben auf und ich kann mir einige Leckerbissen kaufen. Nach 3
Stunden kann ich mich nur mit Mühe aufraffen, um Motala zu verlassen. Hier
aber will ich wieder herkommen - irgendwann, ganz sicher. Nach 85 km harter Fahrerei heute, bin ich am Rastplatz Hammarsundet, einem
der schönsten Plätze, die ich in Schweden kenne, angekommen. Ich war hier
bereits vor 2 Jahren einmal, aber es ist nichts mit dem Wohnmobil hier
anzukommen, gegen eine Ankunft mit dem Fahrrad, die man sich mühsam
erkämpft hat. Allein hier zu sitzen und die Atmosphäre zu genießen ist
einmalig. Es ist schon spät und ich beschließe hier zu übernachten. Gegen
7:00 Uhr erwache ich. Die hier gebauten Sanitärhäuschen haben nicht nur
Toiletten sondern sogar Warmwasser. Alles ist Bestens und mit einem guten
Frühstück soll mein nächster Tag beginnen.
Von Örebro nach Östersund
Also Radfahren macht Hunger und was für welchen. Seit Beginn dieser Tour
esse ich Mengen, die ich selber nicht fassen kann. Am frühen Nachmittag
erreiche ich Örebro. Auch Örebro empfängt mich bei Sonnenschein. In die
Stadt hineinzukommen war leicht - sie wieder zu verlassen, wurde ein
Trauma. Ich brauchte volle 3 Stunden. Jede schwedische Stadt hat ihre
Fahrradordnung. Dazu gehört, dass die Fernverkehrsstraßen oft wie hier zu
Stadtautobahnen erweitert wurden und für Fahrradfahrer gesperrt sind. So
20 - 30 km weiter sind sie dann wieder frei. Bis dahin gibt es Radwege, die
aber oft große Umwege machen und deren Endpunkt für den Unkundigen kaum zu
erkennen sind. Örebro zu verlassen, kostete wahrlich Zeit und Nerven. Nach 20:00 Uhr erreiche ich doch noch mein Tagesziel, die Herberge in
Ervalla. Ratlos stehe ich aber vor verschlossener Tür. Per Handy rufe ich
die Verwalterfamilie. Ich werde freundlich hereingelassen und zahle 150,-
Kronen, etwa 16,- Euro. Es wäre weniger, aber ich habe keine schwedische
Jugendherbergskarte. Diese Karte erspart pro Person und Nacht 5,- Euro.
Auch bin ich der einzige Gast. Es ist halt noch Vorsaison. Die Nacht in der Herberge war ok. Ich habe sehr gut geschlafen und plane
heute knapp 100 km. Das aber sollte sich als frommer Traum erweisen.
Bisher hat mich vom Nordwind abgesehen, das Wetter verwöhnt. Heute ist es
windig und bedenklich bewölkt. Es zieht da etwas herauf. Auf einem
Rastplatz geht dann der erste Platzregen meiner Fahrt herunter. Ich bin
vorbereitet. Regenüberzüge über alle Taschen und Regenkleidung für mich.
Alles in Berlin bei so einem Wetter ausprobiert. Nach 2 Stunden
vergeblichen Wartens fahre ich los und bin gut anderthalb Stunden und etwa
15 km weiter froh über ein Buswartehäuschen. Die Nässe zieht natürlich
überall rein und es ist kalt geworden. Es zeigt sich nicht die Spur einer
Hoffnung auf Besserung. In 18 km, so signalisierte ein Schild, soll ein
weiterer Rastplatz kommen. Das wäre so gegen 23:00 Uhr. Dort werde ich
mein Zelt aufbauen und erst mal schlafen.
19 Stunden Regen, in der Nacht war es schweinekalt. Ich kann nur schätzen
3, 4 höchstens 5 Grad. Aber mein Zelt hat dem Stand gehalten. Es war zwar
schwierig, es gestern in dem strömenden Regen aufzubauen, aber das Wetter
wird jetzt besser und ich fühl mich happy. Es wird Zeit für einen Kaffee
und ein richtig tolles Frühstück. Meine Kondition lässt spürbar nach. Der Bauch ist schon fast weg - die
Strecke hat ihn aufgefressen. Das freut die eitle Seele, aber es gibt nun
keine Reserven mehr. Mein Motor stockert. Ich lege für mich fest: Heute
geht es in eine Jugendherberge und ab heute schlinge ich so viel Essen in
mich hinein, wie nur irgend möglich. Am späten Nachmittag erreiche ich die
Herberge, aber sie ist verschlossen. Kein Mensch zu sehen und auch das
Handy rettet mich diesmal nicht. Erster Öffnungstag ist erst in einer
Woche. Ich stammle mehrmals ein Wort mit 'Sch' und fahre dann weiter bis
Ludvika, der nächste ausgewiesene Campingplatz. Ich sollte das nicht
bereuen. Ein großer Platz mit Wiese und ein halber See für mich. Dazu eine
Bank - perfekt. Kocher an, und dann wächst ein sehr guter Erbseneintopf
mit ganz viel Schinken und Speck. Das muss mir helfen, morgen über die
Berge zu kommen. Ich habe wunderbar in meiner Wolfskinnvilla geschlafen. Das Essen hat
spürbar gewirkt und ich habe bei dem herrlichen Wetter, fast ohne Wind,
richtig Lust zu fahren. Zunächst schaue ich mich aber ein wenig in
Ludvika um. Aber wie komme ich hier wieder heraus? Besser als in Örebro?
Radweg und Straße trennen sich auf jeden Fall wieder, aber sie sind sehr
gut ausgeschildert und der Radweg wird der schönste sein, den ich auf der
gesamten Fahrt kennen lerne. Im besten Zustand führt er über 40 km durch
eine wahre Traumlandschaft. So schön, wie dieser Tag war, so sollte er
auch enden. Gegen 20:00 erreiche ich die Wanderherberge Snoa bruk.
Naturbelassener kann so ein Objekt nicht gelegen sein. Auch hier bin ich
in dem großen Haus fast allein. In der Küche richte ich mir ein Essen für
6 Personen an und genieße es gegen 22:30 Uhr bei herrlichem Sonnenschein
auf meinem Zimmer. Am nächsten Morgen trinke ich noch einen Kaffee mit Reiner, den ich am
Abend hier kennen gelernt hatte. Gegen 12:00 Uhr mache ich mich dann auf
die heutige Tagesetappe. Was hier und heute die größte Schwierigkeit
bedeutet, ist die Schmalheit der E 45. Wenn sich hier 2 LKW's begegnen,
dann ist kein Platz mehr für ein Fahrrad. Gut 20 km weiter wird die Straße
aber leerer. Diese wälzt sich in ständigem Wechsel von Anstieg und Abfahrt
über zahlreiche Gefälle. Endlich, an einem alten, verlassenen Bahnhaus
mache ich eine Rast und trinke dort fast mein ganzes Wasser aus. Immer
wieder suche ich in der Karte ergebnislos nach Alternativen zu dieser E
45. Am Abend erreiche ich dann
Mora. Telefonisch habe ich mich bei der
hiesigen Wanderherberge angemeldet. Mora hatte einiges Sehenswertes zu
bieten. Am nächsten Tag geht es weiter Richtung Norden. Die Steigungen wurden so
stark, dass ich mein Fahrrad schieben musste. Immer wenn ich annahm, die
Steigung ist jetzt an der Bergspitze eingetroffen, da kam die nächste. Es
war der Horror. Ich habe geflucht. So sieht es aus, wenn ein Nichtsportler
glaubt, mal eben so einige tausend Kilometer durch Skandinavien zu radeln
und dabei einen Film zu drehen. Ich habe mich zuhause für eine
Nabenschaltung entschieden. Sieben Gänge, schön kompakt und in guter
Verarbeitung. Aber richtiges Herunterschalten geht damit nicht. Der
niedrigste ist eben der erste Gang. Auch am Tretlager herunter zu schalten
ist damit nicht möglich. Ich weiß diesen Fehler natürlich sehr bald, aber
es hilft nichts. Schieben oder nach hause - und die eigentlichen Fjälls,
die Berge, die das Wort wirklich verdienen, die kommen erst.
Sveg heißt mein nächstes Ziel. Aber mit mehr als 150 km ist es zu weit für
eine Tagestour. Ich war darauf vorbereitet, irgendwo im Wald zu campieren.
Dann aber, als überraschend ein Hinweis an der Straße kommt, habe ich doch
Lust, für einmal so eine Hütte für eine Nacht zu mieten. Ein Volltreffer,
wie sich zeigen sollte. Am nächsten Morgen fahre ich noch mal 7 km und genieße die Ruhe vor, sagen
wir, dem Sturm, denn es geht jetzt wieder steil hoch. Dabei habe ich heute
ein besonders skurriles Problem. Vor Antritt dieser Reise habe ich mir ein
Paar Sportschuhe gekauft, mit fast 1 cm hohen Noppen darunter. Durch das
viele Schieben des Fahrrades am Straßenrand, durch den Kies der Straße,
der dort am Rand ist, sind die Noppen fast vollständig verschwunden. Ich
hoffe, dass diese Schuhe heute noch halten, denn bis nach Sveg, wo ich
hoffen darf, ein Schuhgeschäft zu finden, sind es noch 73 km. Die nächsten 3 Tage sollten dann die schwersten der Tour werden. 3 Tage
Sturmböen aus Nord und Nordwest. Ich brauche endlos lange, um meine
Tagesziele zu erreichen. Selbst die Abfahrten von Bergen werden zur Qual,
weil dieser Wind mein voll gepacktes Fahrrad teilweise völlig
unbeherrschbar macht.
Diese Phase reicht von 50 km vor Sveg bis fast nach
Östersund. Ich sehe in diesen Tagen außer mir nur einmal 2 Jungen mit
einem Fahrrad. Regen und Hagelschauer begleiten diese Zeit. Wenn ich mir
auf dieser Radtour wirklich was anrechne, dann in dieser Zeit nicht
aufgegeben zu haben. Seit 3 Tagen kämpfe ich jetzt gegen Sturm und Regen
und heute sogar gegen Hagel an. Ich muss sagen, das nervt ungeheuer. In der Ferne macht mich ein Motorsägengeräusch neugierig und ich finde
dessen Quelle. Es ist
Alf Andersson,
ein ungewöhnlicher Holzkünstler. Mit seiner Säge schafft er
eindrucksvolle, phantasiereiche Tierskulpturen. Ein 6 Meter hoher Elch, so
erzählt er, ist bisher sein größtes Werk. Ob er ein Künstler ist, frage
ich ihn: Ja, so ein bisschen schon - so die bescheidende Antwort.
Von Östersund über die Berge nach Norwegen
Ich will heute nach Östersund, dass sind jetzt noch 65 km. Gut 20 km
weiter treffe ich an einem Supermarkt auf 3 gutgelaunte Männer, die Bier
gekauft. Bis jetzt hab ich auf meiner Tour kaum etwas vom Rest der Welt
mitbekommen. Ach ja, da war doch noch was - die Fußballweltmeisterschaft
läuft ja. Von den Männern erfahre ich, dass Deutschland heute gegen
Holland antritt.
Im Nieselregen bau ich mein Zelt auf einem riesigen
Campingplatz auf, als unerwartet
ein Biker vor mir steht
und mit einer Nudeltüte wedelt. Im reinsten
Swizerdütsch fragt er mich, ob ich an seinem Nudelessen teilhaben
möchte, es sei viel zuviel für ihn. Es ist Rüdi, der mit seiner Maschine
am Nordkap war - auch allein. Nur eine, für ihn unverzichtbare begleitet
ihn - seine Espressomaschine. Rüdi ist eine Seele von Mensch und es ist
nach den Tagen des einsamen Stemmens gegen den Sturm eine unglaublich
schöne Begegnung. Mir wird nach den wenigen Stunden der Abschied schwer
fallen. Aber ich nehme mir vor, Rüdi, dem sein vorzüglicher Schweizer Käse
fehlt, irgend wann einmal zu besuchen. Das mit der Espressomaschine fand
ich übrigens super. So bekam ich nach dem ewigen Pulverkaffee mal einen
richtigen Espresso. Denn alle Dinge, die man liebt und so rar sind, werden
zur Delikatesse. Danke Rüdi und Grützi. Nach einer sehr stürmischen Nacht und einem ebenso stürmischen Morgen ist
jetzt gegen 12:00 Uhr fast Frieden eingekehrt. Ich bin auf der Straße 340
in Richtung Norwegen. Endlich scheint auch wieder die Sonne, so dass sich
mein Solarladegerät mal wieder mit dem fast leeren
Handy befassen kann.
Ich rieche, spüre und fühle es - Norwegen kommt näher. Die Landschaft wird
herber, ursprünglicher. Die wilden Ströme kommen, auf den Bergen liegt
noch letzter Schnee und ich merke hier, dass mein Gejammer über die harten
Strecken geringer wird. Ich habe mich wohl daran gewöhnt, wie der Mensch
sich so auf gänzlich veränderte Lebensverhältnisse einstellen kann. Nicht
das ich nun ein besserer Radfahrer wäre, das natürlich nicht, aber ich
akzeptiere die Härten besser - und dauert es auch länger und fließt auch
der Schweiß, ich werd das schon packen, reg dich nicht auf, fahr weiter. Zwar könnte ich die letzten 10 km auch heute noch schaffen, aber nein, das
Verlassen Schwedens und das Betreten Norwegens will ich frisch und mit
allen Sinnen erleben. Trotz 16 Reisen nach Norwegen kenne ich diesen
Grenzübergang übrigens noch nicht - was es für mich noch reizvoller macht. Ich hatte hier eine sehr ruhige Nacht, hatte aber hier auf dem letzten
Campingplatz in Schweden jemanden kennen gelernt. Tom, ein Globetrotter,
der als Matrose 30 Jahre um die Welt gefahren ist, 10 Jahre auf
Spitzbergen gelebt hat und noch mit 70 sich hier auf dem Campingplatz
Kronen für sein Leben verdient. Auch mit langen Reden hat es nichts
genutzt - Tom wollte nicht vor die Kamera. Ich habe wirklich alles
versucht, aber er sagt: die Kamera zerschneidet sein Leben. Es gibt nur
einen auf der Welt, der ein Foto von ihm hat und das ärgert ihn bis heute.
Mit Tom zusammen habe ich heute früh schon um 7:00 Uhr Kaffee und Whisky
getrunken und wirklich spannende Geschichten aus dem Norden gehört, die er
erlebt hat. An dieser Stelle verlasse ich nun Schweden nach alles in allem 20 Tagen.
Schweden war ein gutes Gastland. Bis auf 2 völlig unbedeutende Fälle sind
mir nur freundliche Menschen begegnet. Der Süden war gepfropft mit den
Problemen des großen Verkehrs. Mittelschweden und der Beginn des Nordens
hier oben waren schön - bis auf die 3 schweren Tage, gemeint ist das
Wetter, der Sturm, der Wind, der Hagel, der Regen. An die 1500 km liegen
bereits hinter mir. Meine verfügbare Zeit ist leider begrenzt. Das
Nordkap, so viel ist sicher, werde ich nicht ereichen. Aber einen Punkt
muss ich, muss ich wirklich ereichen - Grovfjord. Das liegt gut 450 km im
Polarkreis. Ich will mich dort in 10-12 Tagen mit meinen Freunden treffen
und mit ihnen wieder nach Deutschland zurückreisen. Elimar und Familie sind
mit einem Wohnmobil durch Schweden und Finnland gefahren und auf dem Weg
dorthin unterwegs. Eberhard fährt mit einem Auto von Deutschland nach
Grovfjord. Gemeinsam haben wir den Wunsch mit Bodil und Paul 2-3 schöne
Tage zu verleben. Ich will alles tun, um die bis dorthin noch zu fahrenden
900 km zu schaffen. Wird es gelingen?
Nun bin ich also in Norwegen, im Land der Berge, der Fjorde und der mehr
als 21.000 km langen Küste. Bis zu dieser jedoch ist es noch weit. Seit
Östersund in Schweden geht es wirklich über Berge von 1000 Meter. Sie zu
überqueren ist offensichtlich nicht die Standardroute der Radfahrer.
Bislang ist mir überhaupt noch keiner begegnet. Dafür so mancher Biker,
der mit erhobenem Daumen signalisiert: Junge, du hast Mut. Da wo ich
herkomme, willst du mit dem Fahrrad hin? Ich beschließe für mich, solche
Zeichen nicht zu dramatisieren.
Immerhin, das Wetter ist sehr schön, niemand steht hier mit einer Stoppuhr
und wie der Berliner sagt: Mit Geduld und Spucke fängst du jede Mucke.
Außerdem folgt jeder Tortour nach oben eine von mir als sehr gerecht
empfundene Abfahrt. Ich werde später nach dieser Reise von vielen
gefragt werden, ob ich es nicht als unangenehm einsam empfunden hätte, so
viel Zeit völlig allein gewesen zu sein. Hier oben in den Fjälls wird mir
dazu klar - nein, ich genieße es, diese gigantische Natur allein zu
erleben, ja zu verinnerlichen. Noch in Jahren werde ich wohl genau das als
das intensivste Erlebnis meiner Fahrt bewerten. Heute heißt es, die knapp 70 km bis Grong erst einmal zu bewältigen.
Vorgestern hat mich ein älterer Norweger sehr vor dieser Strecke gewarnt.
Diesmal nicht, weil es soviel Verkehr wäre - es ist fast gar nichts, es
sind gerade mal 5 Autos heute Vormittag hier vorbeigekommen - sondern der
Berge wegen. Es geht mehrere Male über 1000der Berge hoch in die Tundra,
in die fast baumlose Gegend. Eine fantastische Strecke - die ersten 25 km
jedenfalls, dem Fluss folgend, flach und sonnig. Aber dann, binnen weniger
Minuten zieht der Himmel zu, kommt heftiger Wind auf und alles deutet auf
Regen hin. So sehr, wie nie zuvor, trete ich in die Pedalen. Vor Grong
kommt allemal nur ein winziger Ort. Bushäuschen - Fehlanzeige! Nur Felsen
und mitunter Wald. Die positive Folge dieser schnellen Fahrt - ich bin gut
1,5 Stunden vor meiner Planung in Grong. Ich war gegen 16:00 in Grong und hab mich sehr darüber gefreut, wollte noch
einige Kilometer herausfahren, aber das war leider nicht möglich. Nach 5
km auf der E 6 hab ich voller Angst aufgegeben. Diese Straße hat keinen
Randstreifen, ist voll gestopft mit Lkw's und es passen einfach nicht 2
Fahrzeuge und ein Fahrrad nebeneinander. Ich hab das dann eingesehen und
gebe zu, nicht ohne Angst, bin ich die ganze Strecke zurückgefahren und
habe dann in Grong auf dem großen Campingplatz übernachtet. Der
Campingplatz war teuer, man wollte sogar fürs Duschen 10 Kronen, obwohl
schon 100 Kronen für ein so winziges Zelt wirklich eine achtbare Summe
sind. Pflichtsprache auf dem Platz war Deutsch - gerammelt voll - nicht
mein Ding. Dazu habe ich viel zu schöne Gegenden in der Einsamkeit erlebt.
Küstenstraße A 17 von Grong nach Bodö
Mein Ziel heute heißt, auf die A 17 zu kommen. Höchstwahrscheinlich
versuche ich aus der Not eine Tugend zu machen und die ganze A 17 bis Bodö
zu fahren. Dazwischen liegen 6 Fähren. Dann über die Lofoten bis zu den
Vesterålen und schließlich bis nach Grovfjord zu kommen. Jetzt setzt doch
recht heftiger Regen ein. Ich bin jetzt 49 km gefahren, aber der Regen
will und will kein Ende nehmen.
Auch der neue Tag beginnt so, wie der alte geendet hat. Es hat die ganze
Nacht geschüttet. Eine winzig kleine Pause des Regens konnte ich gerade
nutzen, um mein nasses Zelt einzupacken. Es sieht nicht gut aus für heute und ich bin dem gestrigen Tag zu
meiner Planung über 20 km schuldig geblieben. Aber ich hab ja gestern
gesehen, dass sich so ein Wetter innerhalb kurzer Zeit vollständig ändern
kann. Unterwegs treffe ich auf einige Globetrotter, die ebenfalls bei
diesem Wetter mit dem Fahrrad unterwegs sind. 1 km vor Holm finde ich dann
einen wunderschönen Campingplatz, auf dem ich als einziger Gast
übernachte. Das einzige Geräusch, was mich in der Nacht wach macht, war
das Getrampel der Hufe eines Elchs. Am nächsten Tag geht es dann auf der Reichsstraße 17 weiter und mit der
ersten Fähre nach Vendesund auf die Halbinsel Vik, die einzigartig schön
ist. Die Vielfältigkeit der Gebäude ist ebenso schön, wie die bizarre
Kargheit der Landschaft. Das Leben geht hier sehr ruhig seine Wege. Von
hier sind es noch 25 km bis zum nächsten Fähranlegeplatz in Horn. Das
Wetter ist gut und die Landschaft einmalig. Die Fähre bringt mich dann von
Horn nach Anndalsvågen. Obwohl ich die flache Strecke sehr genieße und
schnell voran komme, stehe ich am nächsten Hafen von Vevelstad wieder mal
da. Heute fährt kein Schiff mehr rüber. Nach einiger Sucherei nehme ich für die Nacht den wohl ungewöhnlichsten
Platz für mein Zelt. Die Fläche ist die einzige im gesamten Umfeld.
Während sich gewöhnlich nach 24:00 Uhr hier überhaupt nichts mehr tut, finden
mich im Zelt noch einige Jugendliche des Ortes und stehen plötzlich
lachend mit ihren Mofas da. Aber es dauert nur wenige Minuten, dann holt
mich mein Schlaf ein. Am nächsten Mittag komme ich dann in Sandnessjöen an. Das liegt in der
Region Helgeland. 'Sju søstre' (Sieben
Schwestern) heißt hier diese Bergkette. Ihr Name geht auf eine Sage
zurück. Eine modere Fassung hiervon besagt, dass 7 Trollschwestern zu
lange in einer Bar in Sandnessjöen herumgesumpft haben. Schließlich
erwischte sie der Sonnenaufgang und augenblicklich versteinerten die
Damen. An einem Supermarkt mache ich Pause und esse. Dann aber weiter, die
Taschen voll mit Proviant, den Bauch gefüllt, folge ich der Reichsstraße
17. Ich war hier schon einige Male. Die Helgelandsbrücke sehe ich nicht
zum ersten Mal, dennoch fasziniert sie mich immer wieder aufs Neue. 1100
Meter ist sie lang und überspannt in zauberhafter Form den Fjord. Eine
weitere Fähre bringt mich auf das wunderschöne Nesna. Bei diesem Wetter
wäre es ein guter Grund hier zu bleiben und den Atlantik und die
Atmosphäre der Küste zu genießen. Mir bleibt aber dazu nur eine Nacht.
Obwohl es einer der großen Campingplätze ist, spürt man dies kaum. Die
wenigen Zelte haben ihre eigene Wiese, die Sanitäreinrichtungen sind vom
Feinsten und mit Wasserrutsche, Pub und Shop bietet dieser Platz wirklich
viel. Am nächsten Morgen heißt es jedoch: einpacken und weiter. Die Richtung ist Bodö und vor mir liegen noch gut 165 km. Seit eineinhalb Stunden schiebe und stemme ich mein Fahrrad gegen den
Berg. Er kam für mich relativ unerwartet. Auf meiner Karte ging ein
solches nicht hervor. Ich hoffe, dass in 1 km diese Ansteigungen hier zu
Ende sein werden. Ich komme kaum voran, es ist brühend heiß und ich bin
umzingelt von tausenden von Fliegen, deren Lästigkeit man überhaupt nicht
beschreiben kann. Also, das ist heute Morgen alles andere als Vergnügen,
das ist richtig hammerharte Arbeit. Gegen 23:00 Uhr kam ich erst am
Campingplatz 'Flo & Fjære' an. Nach einer durchregnenden Nacht lerne ich
am Morgen die hübsche Lisa kennen, die mir zuerst einen Kaffe spendiert,
ehe sie mir nicht ohne Stolz erzählt, dass der erst vor einem Jahr von
ihren Eltern erworbene Campingplatz sich in einer so begnadeten Lage
befindet, dass die Zeitschrift GEO diesen Platz zu seinem Titelbild
machte. Lisa hilft hier ihren Eltern, wie sie sagt genau wie sie das Leben
und Treiben auf einem Campingplatz gerade erst lernen. Weiter Richtung Bodö, die Zeit drängt. Die Berge nehmen kein Ende. Den
Polarkreis überquere ich mit einer Fähre. Wer immer diese Pavillons hier
hingestellt hat, ich hab so etwas in Norwegen überhaupt noch nicht
gesehen. Wer immer das hierher gestellt hat, den könnte ich heute umarmen.
Ich hab jetzt an die 40 km ausnahmslos im Regen, ausnahmslos stimmt
nicht, im Tunnel hat es nicht geregnet, aber dafür war es im Tunnel so was
von kalt und gleichfalls nass und auf manchen Strecken im Tunnel neblig
oder diesig. Einfach toll, wenn man hier rauskommt und findet eineinhalb Kilometer
weiter diese Pavillons, die auch wirklich trocken sind, um ein Käffchen zu
kochen. Ein riesiges Herz für Radfahrer muss derjenige gehabt haben, der
diese Pavillon gebaut hat - vielleicht weiß er es nicht einmal. Samstag 17:00 Uhr, der vorletzte Fährhafen vor Bodö. Ziemlich durchnässt
stehe ich vor dem Fahrplan und muss lesen, dass heute nur noch eine
einzige Fähre abgeht - in mehr als 4 Stunden erst. Ich muss meine
jammervolle Ratlosigkeit wohl überdeutlich zum Ausdruck gebracht haben,
als der Techniker der Fähre mich sieht. Zunächst bietet er an, die
Wartezeit auf dem Schiff zu verbringen. Aber mehr noch - er verzichtet auf
einen Teil seiner Freizeit, überredet den Kapitän und zeigt mir das
Schiff. Es ist vor 7 Jahren in Norwegen gebaut worden. Er zeigt mir
geduldig Maschinenraum und Brücke und so verfliegt die Zeit rasch und
interessant. Natürlich Per, werde ich auch dir diesen Film zusenden. Heute ist Sonntag und ich hab darüber bisher noch nicht gesprochen: seit
annähernd 30 Tagen fahre ich jetzt jeden Tag 70-80 km Fahrrad. Dabei
schiebe ich brav die Berge hoch, racker mich ab und find das alles auch
ganz schön, aber an so einem Sonntag hätte ich unheimlich gern frei. Aber
das geht heute nicht, das geht die ganze Zeit schon nicht. Ich hab nur
noch 5 Tage, um in diesen 5 Tagen nach Grovfjord zu kommen, wo ich mich
mit meinen Freunden treffen möchte. Dort ist ein wundervoller Campingplatz
und meine Freunde Elimar und Eberhard kommen unabhängig voneinander, über
verschiedene Wege gleichfalls dort hin. Um dort 2 gemeinsame Tage zu
haben, muss es unbedingt gelingen, innerhalb der nächsten 5 Tage dorthin
zu kommen. Aber es ist ein schwieriger, verregneter Tag und noch um 1:00
Uhr in der Nacht bin ich unterwegs. Ich finde absolut keinen Platz für
mein Zelt. Nur Felsen, sumpfiges Gelände und Wasser. Zu guter letzt stehe
ich noch vor einer 3,5 km langen Strecke mit einem 12%igen ansteigenden
Gefälle und 3 Tunnel. Es ist weit nach 2:00 Uhr, als ich schließlich einen
Miniwald finde.
Der nächste Tag beginnt wettermäßig traumhaft. Alles ist wie ausgetauscht,
es ist regelrecht heiß geworden, kaum ein Lüftchen weht und eigentlich
könnte es jetzt problemlos über die letzten 80 km nach Bodö gehen. Aber
die Nacht in den Tunneln hat mir ein echtes Problem beschert. Irgend etwas
stimmt mit meinem rechten Knöchel nicht. Ich bin von einem Stück Asphalt,
als dieses abbrach, abgerutscht. In der Nacht ist der Knöchel geschwollen
und ich muss viele Pausen einlegen, um ihn zu behandeln. Laufen ist fast
nicht mehr möglich. Radfahren geht schon eher. Als ich dann vor der Brücke über den Saltstraumen stehe, ahne ich
Schlimmes. Ich will das ja ehrlich zugeben, fast eine dreiviertel Stunde
brauche ich, um sie zu überqueren. Da ich seit vielen Jahren aus Prinzip
niemals zum Arzt gehe, außer zum Zahnarzt, meine ich, eine Nacht Ruhe
würde schon genügen, um das Ärgste zu beheben. Aber es steht fest, die
Schmerzen gefährden ernsthaft meine Ankunft in Grovfjord. Es sei denn, ich
erreiche doch noch heute Bodö, gebe mir dort die Ruhe und finde morgen ein
Schiff, dass bis nach Svolvær auf die Lofoten
fährt, also auch noch mal viel Zeit und Ruhe gibt. Ich ignoriere die
Schmerzen so gut es geht und erreiche gegen 21:00 Uhr Bodö. Ich scheine
eine Glückssträhne zu haben, denn schon auf dem Campingplatz hilft man mir
ein Schiff der Hurtigrute zu finden. Die Nacht und die Fahrt mit ihm werden mir mehr als 30 Stunden Ruhe geben
und dann hoffe ich die 180 km bis Grovfjord in 2 Tagen doch noch zu
bewältigen. Und noch etwas - dieses Schiff fährt sogar in den Trollfjord
ein. Überaus glücklich und mit bandagiertem Knöchel schlafe ich
schließlich ein. Ja, da geht er in Erfüllung, mein Traum vom Trollfjord.
Ich bin ihm mindestens heute nicht würdig. Mein Knöchel lässt mir keinen
Platz für Socken im Schuh - und das auf diesem Schiff. Ich drücke mich in
einen Sessel und halte meine Beine möglichst hinterm Rucksack versteckt.
Als es jedoch die obligatorische Trollsuppe, eine
Erbsensuppe gibt, ist
mir das egal. Ich bin mir sicher, niemand hat sie hier so genossen, wie
ich. Aber eines weiß ich schon - der nun schon eigenartig gefärbte Knöchel
wird nicht besser. Ich beneide die Schiffsreisenden. Von denen muss
niemand um 4:00 Uhr auf einem Fahrrad 128 km absolvieren. Als ich von Bord
gehe, sind diese Glücklichen in ihren Kojen.
Von Svolvær zum Campingplatz ANNAMO
Für mich ist 4:00 Uhr eine schlimme Zeit. Kein Schlaf, recht kühl und der
doofe Knöchel. Ich sehne mich dem Ende der Radtour entgegen. Eine Strecke
von 2350 km liegt nun hinter mir. Ich bin kein Held, oh nein, oh wenn
mich doch nur einer fragen würde, ob er mich mitnehmen könnte. Ich durchquere den 2200 Meter langen Sigerfjordtunnel, fahre 30 km auf der
am Morgen noch leeren E 10 und weiche dann auf eine Nebenstraße aus, die
mir fast 15 km Ersparnis verspricht. Sie ist einmalig schön. Aber das
lässt 3 Dinge nicht übersehen: erstens, es beginnt wieder zu regnen;
zweitens, als ich plötzlich vor einem geöffneten Schlagbaum stehe, weiß
ich, es geht wieder hoch hinaus und drittens schließlich, kommt auf der
gesamten Strecke keine einzige Möglichkeit, sich gegen das Wetter
geschützt unterzustellen. Ein wenig rühmliches Ende meiner Fahrt zeichnet sich ab.
Völlig übermüdet, mit nicht mehr zu benutzendem Knöchel und fast 3
Zentimeter Wasser in den Schuhen, stehe ich dann wieder kurz vor der E 10
auf der bis Grovfjord noch 33 km zu fahren wären. Es ist 19:00 Uhr und ich
kann und ich will nicht mehr. Schon stundenlang habe ich überlegt und dann
tue ich es: Paul, hier ist Wolfgang, kannst du mich mit deinem Auto
abholen? Gemeinsam mit Eberhard sammelt er mich eine halbe Stunde später
an einer Tankstelle auf. Ich habe diesen Film allein gedreht, jedes Bild. Aber im strömenden Regen
kann ich mich nicht aufraffen, mein jammervolles Aufgeben, 33 km vor dem
Ende in die Kamera zu bringen. Bei Paul auf dem Campingplatz angekommen, empfinde ich trotzdem eine
diebische Freude. Ein Bett, Kaffee, ein Whisky, Essen und ein ohnmächtiger
Schlaf. 2473 km zeigt mein Tourentacho. Am nächsten Tag kommt ein
Fischhändler mit all seinen Delikatessen. Frischer Fisch aus dem Atlantik.
Ich genieße diese Atmosphäre und bin ein guter Kunde. Alles ist perfekt.
Eberhard ist mit seinem Auto hier, um mich abzuholen. Mein Freund Elimar
muss eine Wette einlösen - Fisch essen. Wir kennen uns 13 Jahre, aber das
gab es noch nie. Hier, bei meinen Freunden, auf dem Campingplatz
ANNAMO in Grovfjord nahe Narvik endet meine Reise. 33 Tage war ich unterwegs. Ich weiß es, ich bin
wirklich kein guter Radfahrer, das wusste ich eigentlich auch vorher. Ich
bin nicht ohne jeden Stolz, diese Zeit ausgehalten und durchgestanden zu
haben. Ich habe unglaublich schöne Momente erlebt, auch Momente, wie in
dem Film zu sehen, auf die ich gerne verzichtet hätte. Auch jetzt regnet
es in Strömen. Hinter mir steht ein Zelt - ein anderer Radfahrer kann sich
verständlicherweise nicht entschließen, heute bei diesem Wetter weiterzufahren. Meine Reise
jedenfalls ist beendet. Im Kreis meiner Freunde hatte ich gestern einen
wunderbaren Abend. Es ist ein unglaubliches Gefühl, nach 33 Tagen
Alleinsein in den Kreis seiner Freunde zurückzukommen und jetzt freue ich
mich auf zuhause. Jedem, der mit dem Gedanken spielt, eine solche Reise zu unternehmen, dem
kann ich im Grunde nur zuraten. Es ist ein sehr intensives Gefühl der
Auseinandersetzung mit sich selbst, dem Alleinsein mit der Natur, dem
Fertigwerden mit Problemen und viel Zeit gehabt zu haben, über die Dinge
des Lebens nachzudenken und zu wissen, was wirklich wesentlich und wichtig
ist. Der Lohn der Mühe ist schlank zu werden - ich habe über 6,5 kg
verloren. Eines steht fest - diese Reisen nach Skandinavien, ganz gleich welcher
Form, die werde ich nicht aufgeben. Es ist einfach eines der schönsten
Teile der Welt, noch sehr natürlich, noch wenig unverändert, noch sehr
sicher und eine Herausforderung in jeder Art und Weise. Egal, auch wenn es
jetzt regnet. Möglicherweise fahre ich 2007 noch mal so eine Tour. Eine andere Strecke - man
wird sehen.
© Wolfgang Haase |