Die wesentliche Grundsätze, die für die heutige schwedische Neutralitätspolitik
gelten, wurden schon kurz nach 1820 von König Karl XIV. Johann, dem früheren
französischen Marschall Bernadotte, formuliert, der 1810 zum schwedischen
Thronerben gewählt worden war. Er war es auch gewesen, der in den Jahren
1812-1814 den Kurs der traditionellen schwedischen Außenpolitik geändert und
realpolitische Voraussetzungen für eine schwedische Neutralitätspolitik
geschaffen hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Europa in zwei gegnerische Blöcke aufgeteilt.
Mit dem Abschluss des Atlantikpakts im April 1949 wurde die Aufteilung in Blöcke
vollendet, die mit dem Abschluss der Militärbündnisse zwischen der Sowjetunion
und den kleineren Staaten in Osteuropa eingeleitet worden war. Auch Dänemark und
Norwegen traten dem Atlantikpakt bei. In dieser Lage legte Schweden seine
außenpolitische Grundlinie - Bündnisfreiheit im Frieden mit dem Ziel der
Neutralität im Kriegsfall - fest, an der Schweden lange festhielt. In seiner Ansprache vom 9. Februar 1949 unterstrich der schwedische
Außenminister, Bo Östen Undén, dass es keine Lösung für Schwedens
Sicherheitsprobleme gebe, die in der herrschenden Lage vollauf zufriedenstellend
sei. Der Reichstag und die Regierung müssten versuchen, eine zweckmäßige
Kombination von Politik und Verteidigung zu finden. Die Politik solle darauf
hinauslaufen, das schwedische Territorium in dem Sinne pazifiziert zu erhalten,
dass es keiner anderen Macht für militärische Vorbereitungen zur Verfügung
gestellt werde. Diese bündnisfreie Politik stelle hohe Anforderungen an die
Landesverteidigung. Schweden hat diese Politik wirklich nicht gewählt, um
hinsichtlich der Verteidigungslasten billiger davonzukommen. Das schwedische
Volk fühle sich jedoch jetzt ebenso wenig wie früher aufgefordert, eine
Frontstellung zu beziehen, die markiere, dass es sich im kalten Krieg engagiert. Die gesammelten Erfahrungen ihrer Neutralitätspolitik, die sich über den
Zeitraum von etwa 1820 bis 1949 erstreckten, waren bis vor kurzem noch wichtig.
Schweden war seit fast 200 Jahren Stolz darauf, keinem Militärbündnis
anzugehören. Nur langsam kooperierte das skandinavische Land mit der Nato. Seit dem Beitritt zur EU wurde die schwedische Sicherheitspolitik
europäisiert. In den letzten Jahren vertiefte Schweden seine
sicherheitspolitische Kooperation mit der NATO und nahm damit substanzielle
Veränderungen in der Sicherheitspolitik vor. So nehmen heute schwedische
Soldaten auf Einladung an Übungen unter NATO-Kommando teil. Seit 2013 stellt
Schweden Truppen für die Nato-Eingreiftruppe NRF (NATO Response Force). Seit der Ukraine-Krise hat Russlands Verhalten Schweden tief verunsichert.
Im Oktober 2014 suchte die schwedische Marine im
Schärengarten vor Stockholm ein beschädigtes U-Boot, das chiffrierte Signale auf
einer russischen Notfrequenz aussendete. Im Dezember 2014 war ein SAS-Flugzeug
südlich von Malmö im internationalen Luftraum in 8000 Meter Höhe auf
Kollisionskurs mit einem russischen Turboprop-Aufklärungsflugzeug, das seinen
Transponder ausgeschaltet hatte. Nachdem russische Kampfjets in letzter Zeit mehrmals in schwedische Lufträume
eingedrungen sind, nähert sich Schweden nun noch mehr der westlichen Allianz an
und diskutiert immer öfter über einen Anschluss an den Atlantikpakt. Hochrangige
schwedische Militärs warnen schon seit längerem vor einer veränderten
Sicherheitslage und zu einem vorsichtigem Umdenken, denn die Neutralität ist
keine wirkliche Garantie für die Sicherheit, da sie von den Krieg führenden
Parteien missachtet werden kann. Im Januar 2015 forderte die Parteichefin der Konservativen Anna Kinberg Batra
eine Untersuchung über eine mögliche Nato-Mitgliedschaft von Schweden und löste
damit eine Debatte über die militärische Bündnisfreiheit des Landes aus. Die Frage
war jetzt, wann sich Schweden von ihrer Schein-Neutralität verabschiedet
und der Nato beitritt. Diese Entscheidung wollten die sonst so überlegten
Schweden aus Unsicherheit heraus nicht so schnell treffen. Meinungsumfragen ergaben
aber, dass
die Mehrheit der Schweden nichts gegen einen Nato-Beitritt hätte. So kam es,
dass im Mai 2022 Schweden zusammen mit Finnland Anträge auf Beitritt in die Nato
einreichten. Anfangs blockierten die Türkei und Ungarn den Beitritt. Finnland
wurde im April 2023 als 31. Mitglied im Bündnis aufgenommen. Nach
Zugeständnissen Schwedens ermöglichte Präsident Recep Tayyip Erdogan Ende
Oktober 2023 die Ratifizierung durch das türkische Parlament.
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