Nicht nur in Deutschland wird die Rolle des
Staates bei der Kinderbetreuung intensiv diskutiert, sondern auch in Schweden.
Ein Gleichheits- und Gleichwertigkeitsdenken war in der sozialdemokratischen
Politik in den skandinavischen Ländern immer ausgeprägt. Deshalb waren auch
Wertevorstellungen von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit in den staatlichen
Maßnahmen im Bereich der Kinderbetreuung deutlich zu sehen. Unter dem Einfluss von "new-economy" und einer
Stärkung der Marktkräfte sind in den 1980er und vor allem in den 1990er Jahren
neue Fragen entstanden, wodurch auch diese Wertevorstellungen auf den Prüfstand
gestellt werden. Da sich der Wohlfahrtsstaat in einer Umbruchsituation befindet,
werden folglich die Gründe für öffentliche Maßnahmen und ihre Effektivität,
sowohl in Bezug auf die Kosten als auch die Auswirkungen, auch in Schweden neu
geprüft. Diesem Thema widmet sich der Artikel. Das Bestreben nach Gleichheit
und Gerechtigkeit wurde auf unterschiedlichen Feldern ausgetragen. In den
skandinavischen Ländern ebenso wie in den anderen europäischen Ländern wurde in
den 1960er und 1970er Jahren eine demokratische Relation, also eine
Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen angestrebt. Auf dem Arbeitsmarkt
wurden die Frauen dringend gebraucht und ein Ausbau von Kindertagesstätten ist
zu Stande gekommen. Ein besonders handlungsfähiger, aktiver Staat war in diesen
Jahren zu beobachten. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wurde in den
nordischen Ländern seit den 1970er Jahren auch in staatliche Politik umgesetzt
und führte dazu, dass auch die Situation der Familie intensiv diskutiert wurde. Die Reaktion bestand in einer Strukturänderung
der Beziehungen zwischen den Geschlechtern nach einem
DoppelverdienerFamilienmodell - ein Modell, das bereits in der ländlichen
Tradition der Bauern verankert war. Ab Ende der 1960er Jahre und in den 1970er
Jahren konnte der Grundsatz von der Gleichheit der Geschlechter auf diesen
Werten aufbauen. Das Familienmodell, in dem der Mann die Ernährer- und die Frau
die Hausfrauenrolle übernahm, war in den nordischen Ländern nur in den 1950er
und 1960er Jahren vorherrschend. Das typische bürgerliche Modell mit der Unterscheidung von
Mann und Frau, das auf dem sozialen Familienmodell des Mannes in der
Ernährerrolle und der Frau in der Rolle der Ehefrau und Mutter basierte, konnte
sich allerdings hier im Gegensatz zu den früher industrialisierten und ausgeprägteren Klassengesellschaften Europas nie richtig durchsetzen. In den Relationen zwischen Familie, Markt und
Staat in den skandinavischen Ländern in den 1960er und 1970er Jahren, als eine
demokratische Relation zwischen Männern und Frauen angestrebt und der Ausbau von
Kindertagesstätten und umfangreiche staatliche Maßnahmen zustande gebracht
wurden, war der Ausbau der Tagesstätten allerdings keine gezielte
Aufgabe. Die öffentliche Kinderbetreuung war in Schweden also
keine Voraussetzung für dieses Bestreben. Die berufstätigen Frauen
standen dem Arbeitsmarkt schon zur Verfügung, als die Tagesstätten in größerem
Umfang ausgebaut wurden, d. h. die Erwerbsquote der Mütter hatte immer einen
Vorsprung vor dem Ausbau der Betreuungsstätten. Die Frauen fanden vielmehr
zunächst andere Lösungen, zum Beispiel. Tagesmütter, die sie schwarz bezahlen
konnten. Dennoch repräsentierte der nordische
Wohlfahrtsstaat ein Strukturmuster von Geschlechter- und Generationsbeziehungen,
was dazu führte, dass die Kindheit immer mehr durch den Staat beeinflusst wurde.
Die Entwicklung und die umfangreichen staatlichen Maßnahmen gestalteten einen
kinder- und frauenfreundlichen Staat. Der Ausbau des Wohlfahrtsstaates erleichterte in
den 1960er und 1970er Jahren die weitgehende Gleichberechtigung der Frauen auf
dem Arbeitsmarkt und in der Politik. Institutionen zur Betreuung kleiner Kinder,
die ursprünglich von privaten Wohltätigkeitsorganisationen getragen wurden, sind
langsam, und erst in den 1990er Jahren, zum wesentlichen Bestandteil staatlicher
Politik geworden und haben die Struktur der Kindheit verändert. In den skandinavischen Ländern sind heutzutage
über 80 Prozent aller Mütter mit Kleinkindern erwerbstätig. Die Tagesstätten in
Schweden umfassen sowohl Ganz- und Halbtags- als auch Kurzzeitangebote für
Kinder im Vorschulalter, wobei aber die Ganztageseinrichtungen in der Mehrheit sind. Die Gruppen werden von einem Erzieher mit
entsprechender Fachhochschulausbildung geleitet. Doch trotz der erwähnten Entwicklungen sind in
diesem Bereich neue Tendenzen zu beobachten: Die Notwendigkeit öffentlicher
Maßnahmen und ihre Effektivität, sowohl in Bezug auf die Kosten als auch die
Auswirkungen, werden in Zweifel gezogen, und mit knapper werdenden Ressourcen
werden nun viele Angebote auf den Prüfstand gestellt. Am Arbeitsmarkt geht der Trend zu mehr
Flexibilisierung, und das beinhaltet auch, dass die Eltern mehr
Wahlmöglichkeiten haben werden: Entweder kann ein Elternteil mit dem Kind zu
Hause bleiben, und/oder man muss für eine optimale externe Kinderbetreuung
selbst sorgen. Schwedische Studien belegen inzwischen aber, dass staatliche
Subventionen zwischen 1991-1998 um 14 Prozent pro Kind reduziert wurden. Die
Elternbeiträge in Schweden wurden dagegen um 10 bis 17 Prozent erhöht. Der Umbau
von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen unter der sozialdemokratischen Regierung
Schwedens wird zur Zeit von einigen Forschern näher untersucht. Die Situation hat
allerdings in den letzten Jahren eine umfangreiche Debatte im Parlament und in
der Bevölkerung ausgelöst, da Kinderbetreuung in Schweden
vorrangige Politikfelder und die jungen Frauen und Männer wichtige Wählergruppen
sind. Im Ergebnis wurde ab 2003 eine Obergrenze für die Elterngebühren eingeführt. Ein weiterer Ausbau von Tagesstätten wird also
vorausgesetzt, gleichzeitig aber auch die Wahlfreiheit mehr und mehr betont.
Folgende Tendenz ist zu beobachten: Es entstehen Marktmodelle im
Kinderbetreuungsbereich bzw. eine Kunden- und Marktorientierung, bei der die
Eltern als souveräne Konsumenten oder Kunden betrachtet werden.
Andererseits soll das staatliche Betreuungssystem hin zu einem marktorientierten
Angebot gesteuert werden, bei dem die Wahlfreiheit im Mittelpunkt steht. Wie
wird sich die Kindheit durch diese stärkre Rolle der Marktkräfte ändern? Wird
die Kindheit auf andere Welse strukturiert, wenn der wohlfahrtsstaatliche Rahmen
anders positioniert? Der Wohlfahrtsstaat hat versucht, die Vereinbarung von
Familie und Berufstätigkeit für Mütter und Väter zu unterstützen. Ein zentrales Forschungsthema ist deshalb, wie,
gesteuert durch das Bemühen des Gleichheitsgedankens in Schweden in den 1960er
und 1970er Jahren, gemeinsame Lösungen gefunden wurden, ob in den 1980er
und vor allem in den 1990er Jahren ein neoliberaler Diskurs Einfluss gewonnen
hat und wie sich dieses auf die gemeinsamen Lösungen in Richtung Wahlfreiheit,
Individualisierung und größere Unterschiede ausgewirkt hat.
Viele große Fragen sind deshalb weiterhin offen:
-
Behält Schweden innerhalb Europas in Zukunft weiterhin eine Führungsposition,
was Kinderrechte und eine familienfreundliche Arbeitswelt betrifft?
-
Wird die
Möglichkeit für Mütter mit Kleinkindern, einen Beruf auszuüben, für alle
weiterhin eine Selbstverständlichkeit sein und wird es überall eine ausgebaute,
mit der Arbeitswelt kompatible Kinderbetreuung geben?
Mit diesen Fragen werden sich die schwedischen Politiker auseinandersetzen müssen. Die Relationen zwischen
Kindheit, Familienleben, Arbeitsmarktpolitik und dem Ausbau von Tagesstätten
müssen im Vergleich betrachtet werden. Nur so kann beurteilt
werden, wie robust der kinder- und frauenfreundliche schwedische
Wohlfahrtsstaat auch zukünftig innerhalb einer globalisierten Wirtschaft sein kann.
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