Touristen, die
zum ersten Mal über einen Nordseedeich schauen, sind oft verblüfft: Mal ist das Wasser da, mal nicht. Es ist das Spiel der Gezeiten –
von Ebbe und Flut.
Früher glaubten
die Menschen, dass Ebbe und Flut das Atmen der Erde wäre. Sie wussten nicht, wie
die Gezeiten zustande kamen. Heute weiß man, dass die Anziehungskräfte der
Sonne, vor allem aber des Mondes daran schuld sind. Zwar ist die anziehende
Kraft von der Masse des anziehenden Körpers abhängig, jedoch nimmt diese Kraft
mit dem Quadrat der Entfernung ab. Obwohl man also 27 Millionen Monde nehmen
müsste, wollte man der Masse der Sonne gleichkommen, wirkt diese sich doch sehr
viel schwächer auf Ebbe und Flut aus, weil der Mond der Erde viel näher steht.
So kommt es, dass die Anziehungskraft des Mondes den Hauptfaktor bei der
Entstehung der Gezeiten ausmacht. Die Gravitationskraft von
Mond und Erde sowie die Fliehkraft (Zentrifugalkraft) der Erde bewegen das
Meerwasser und sind dementsprechend Auslöser der Gezeiten. Auf der mondnahen
Seite der Erde ist die Anziehungskraft des Mondes stärker als die Fliehkraft der
Erde. Dadurch wird das Meerwasser zum Mond hingezogen und es entsteht ein
Flutberg.
Die Bewegung der
beiden Himmelskörper erfolgt um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Demzufolge ist auf der
abgekehrten Seite die Fliehkraft der Erde, die besonders in einem Karussell
deutlich wird (die Fahrgäste werden durch die Drehbewegung nach außen gedrückt),
größer als die Anziehungskraft des Mondes, sodass ein zweiter Wasserberg
entsteht. Ebbe herrscht dann in jenen Zonen, die jeweils zwischen den genannten
Flutbergen liegen.
Die
Unterschiede des Wasserstandes zwischen aufeinander folgenden Hoch- und
Tiefenwassern werden als Tidenhub bezeichnet. Er ist auf dem offenen Meer
gering, in Buchten können 12 Meter und mehr erreicht werden. An den meisten
Küsten der Welt lassen sich täglich zwei Gezeitenphasen während eines Mondtages
beobachten. Ein Mondtag bezeichnet den Zeitraum, den der Mond benötigt, um zu
einem festen Punkt auf seiner Umlaufbahn um die Erde zurückzukehren. Somit
dauert dieser 24 Stunden und 50 Minuten. Da die Flut der Bahn des Mondes folgt,
braucht sie ungefähr sechs Stunden, um ihren Höchststand zu erreichen. Über
einen ebenso langen Zeitraum sinkt der Wasserstand dann wieder ab.
Die
Schwerkraft der Sonne trägt ebenfalls zu den irdischen Gezeiten bei. Stehen
Erde, Mond und Sonne in einer Linie (also bei Neu- und Vollmond), summieren sich
die Anziehungskräfte und es entstehen so genannte Springtiden oder Springfluten,
wobei die Flut ihren höchsten beziehungsweise die Ebbe ihren niedrigsten Stand
erreicht. Je höher der natürliche Tidenhub eines Gebietes ausfällt desto größer
ist das Gefahrenpotential während einer Springflut. Kommt zu einer Springflut
noch starker Wind hinzu, baut sich eine Sturmflut mit verheerenden Auswirkungen
auf. So verursachten derartige Wellen in den Jahren 1953, 1962 und 1976 an
großen Teilen der niederländischen und deutschen Nordseeküste weitläufige
Überschwemmungen, die wiederum katastrophale Verwüstungen zur Folge hatten.
Die
Flut fällt dagegen geringer aus, wenn Sonne, Mond und Erde in einem rechten
Winkel zueinander stehen. Bedingt durch diese Stellung wirken die
Anziehungskräfte von Sonne und Mond in unterschiedliche Richtungen, sodass die
Nippflut beziehungsweise Nipptide entsteht. Jeder 28-Tage-Mond-Zyklus löst somit
zwei Spring- und zwei Nipptiden aus.
Entstehung der Gezeiten
Die Gezeiten haben besonders in der Küstennähe einen großen Einfluss auf die
Schifffahrt. Der Grund warum sich diese periodischen Wasserbewegungen vor
allem in der Küstennähe zeigen, hängt mit dem Relief des Meeresbodens zusammen.
So gibt es auf der Welt auch erhebliche Abweichungen beim Auftreten von Hoch-
und Niedrigwasser. Der sogenannte Tidenhub zwischen dem
höchsten und dem niedrigsten Pegelstand des Wassers ist zum Beispiel in
der Ostsee kaum zu bemerken, weil er nur wenige Zentimeter ausmacht. Am Nordpol
gibt es überhaupt keinen Tidenhub. An der
deutschen Nordseeküste hingegen beträgt er zwischen 2 bis 4 Meter und in der Bay
of Fundy in Kanada sogar bis zu 16 Meter. Diese Veränderungen des Wasserpegels
können vor allem beim Einlaufen in einen Hafen von großer Bedeutung sein. So ist
es durch die Gezeitenwelle möglich, bei Hochwasser mit einem größeren und
tiefgehenden Schiff einen Hafen anzulaufen. Man bezeichnet dies als Tidefenster.
Abkürzungen in der Gezeitenkunde:
HAT = Höchste astronomische Flut MHW = Mittleres Hochwasser
MNW = Mittleres Niedrigwasser
MTH = Mittlerer
Tidenhub
MW = Mittelwasser NN Normalnull
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