Die Ansteuerung erfolgt durch den weißen Leitsektor des Leitfeuers auf der Südmole. Die Richtfeuerlinie leitet die
Schiffe in die schmale Durchfahrt durch die Molenköpfe in den
Außenhafen. Visby ist eine Stadt aus dem Mittelalter, mitten in der Ostsee an einer
Klippenküste hochgespült. Vom Parkhausplatz hinter der Mauer am Hafen führen
schmalen Gassen mit holprigen Kopfsteinen zu den Stadttoren oben auf dem
Klippenrand. Visby hat seine Besucher schon immer betört, hingerissen. Die Verzückung vor
allem der schwedischen Gäste ist leicht zu begreifen. Hier fanden und finden
sie, nur neunzig Kilometer vor der småländischen Küste, den Beweis, dass im
frühen und hohen Mittelalter das skandinavische Festland ein nahezu
geschichtsloses Dasein fristete. Visby ist das Denkmal für bereits damals
manifeste nordische Macht und Herrlichkeit. Deutsche Gotlandfahrer, die Vorgänger der Hanseaten, ließen sich in großer
Zahl in Visby nieder. Der von ihnen und den Gotländern wohl nicht immer
brüderlich betriebene, aber einträgliche Handel mit Seide und Brokat aus dem
Orient, Pelzen aus Russland, Dorsch und Robbenfleisch von der Insel selbst
und Salz aus Lübeck, machte Visby vor allem im 13. Jahrhundert reich und zur
"Königin der Ostsee". Da ist die graue, fast lückenlose Rundmauer mit ihren 38 Tor-, Schirm- und
Satteltürmen. Dieses gewaltige Bauwerk von dreieinhalb Kilometer Umfang
fasst nur die Stadt, nicht aber den Hafen, wie ein Schmuckstück ein. Denn
errichtet wurde sie zum Schutz vor den Großbauern auf der Insel, die, im
Nebenberuf ebenfalls Seefahrer und Händler, den überlegenen Profis in der
Stadt dann und wann auf den Leib rückten. 1361 ließ der Dänenkönig Valdemar Atterdag das letzte Aufgebot eines
Bauernheeres, das unter der Stadtmauer Hilfe und Schutz gesucht hatte, bis
zum letzten Mann abschlachten. Das Liljehornsche Haus ist der höchste
erhaltene mittelalterliche Profanbau in Nordeuropa. Zusammen lassen diese
drei Wahrzeichen hanseatischen Reichtums die einstmals großartige Skyline
der Hafenstadt erahnen. Da sind schließlich die Kirchen, oder das, was von
ihnen geblieben ist. Dachlos, mit zerbröckelten Pfeilern, ausgebrochenen
Rosettenfenstern, aufgeworfenen und Unkraut bewachsenen Steinböden künden
diese gewaltigen Kalksteinfossilien von gotischer Bauwut und Baukunst und
von einer kulturellen Blüte, die im Mittelalter und lange danach alles
übertraf, was nordische Königsresidenzen und Bischofsstifte zu leisten und
zu bieten vermochten. Die Überreste von St. Katarina, der wohl schönsten
Ruine, die Geschwisterskelette der Dreifaltigkeitskirche und von St. Lars,
das doppelgeschossige Gewölbe von St. Clemens, die als Steinbruch
missbrauchten Rudimente von St. Hans und St. Per bilden aber auch die
Grabsteine über der kosmopolitischen Handelsmetropole. Ihr Niedergang war
mit dem Abzug Valdemar Atterdags besiegelt.
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