Die Insel Öland ist völlig anders als die anderen schwedischen Provinzen.
Die Agrarlandschaft, die Weiden und Felder, auf die niemals Kunstdünger
ausgebracht wurde - das Heideland "Alvaret" und die Meerwiesen - und die
Bebauung in Form der einzigartigen Reihendörfer sind die drei Kriterien, die
Südöland in den Augen der UNESCO in der ganzen Welt einzigartig macht. Fast
endlos erstreckt sich die 56.000 Hektar große Felsebene Stora Alvaret im Süden von Öland.
Sie umfasst das gesamte südliche Öland. Das ganze Jahr über weht hier ein stetiger Wind. Der Boden ist von tiefen Klüften durchzogen, in dem der
Regen sofort versickert. Fast überall ist der karstige Grund nackt oder nur von
einer dünnen Erdschicht bedeckt. Die Sommersonne heizt den Stein mächtig auf
und lässt das spärliche Gras bald vertrocknen. Im Winter wiederum fegen polare
Stürme über die Ebene hinweg und begraben die Landschaft unter Eis und Schnee.
In dieser Zeit gleicht der Süden Ölands einer arktischen Tundra. Wer hier
bestehen will, muss hart im Nehmen sein. Erst nach Monaten der Starre zieht
sich die Kälte zurück. Mit der Schneeschmelze stehen die Mulden für Wochen
unter Wasser. Dann aber zeigt die große Alva ein ganz anderes, gar anmutiges
Bild. Sonnenröschen, wie von Hand verzaubert, erscheinen auf dem kargen Boden.
Ein Blumengarten, so weit das Auge reicht. Der Kalk begünstigt die reiche
Flora. Die Küchenschellen mit ihrem silbrigen Glanz ihrer filigranen Haare sind
die ersten Frühlingsbotschaften. Für nur wenige Tage im Jahr blühen die
farbenprächtigen Orchideen, die durch das Blau des Spitz-Ehrenpreises und das
Gelb des Öland-Labkrautes abgelöst werden. Hier in der Stora Alvaret wachsen u.
a. Pflanzenarten, die nur auf der Insel Öland vorkommen. Dazu gehört das Öland-Sonnenröschen, der Öland-Beifuß und die Öland-Pechnelke. Ungewöhnlich hoch
ist auch der Flechtenreichtum der Stora Alvaret. Strauchflechten bilden
Teppiche unterschiedlichster Farbtöne. Die Krustenflechten auf den
blankgewehten Steinplatten bilden die Grundlage für eine Besiedlung durch
weitere Arten. Von den 44 Orchideenarten, die in Schweden vorkommen, wachsen 35
auf der Insel Öland. Sämtliche Arten stehen unter Naturschutz. Insgesamt
sind 400 verschiedene Vogelarten hier anzutreffen.
Die Luft ist voller Stimmen. Aus den Wipfeln der
Wacholdersträucher klingt der Reviergesang der Heidelerche. An anderer Stelle
biegen sich Wollgräser sanft im Wind. Brachvögel lieben die Nässe und brüten versteckt im Gewirr der
Halme. Es ist ein idealer Platz für die Aufzucht ihrer
Jungen. An den tief gelegenen Stellen bilden sich kleine Moore. Wo sich an den
Rändern offenes Wasser zeigt, leben die Rothalstaucher. Das Nest ist meist ein
Floß aus einer losen Ansammlung von Blättern, die auf dem Wasser treiben. Die
große Feldebene ist mehr als steppenartige Monotonie – sie ist ein lebendiges
Mosaik aus Trocken und Nass. Ölands
Geschichte begann vor etwa 500 Millionen
Jahren. Im warmen Meer der Vorzeit formten sich mächtige Gesteinsschichten.
Nach der letzten Eiszeit schoben sie sich aus dem Meer. Während der Kalk an der
Küste teils schroffe Säulen bildet, breitet er sich im Landesinneren als Ebene
aus. Der Untergrund ist porös und zerklüftet. Die kleinen Bäche sind schnell
versiegt. Krüpplige Wälder und Gebüsche im Wechsel mit offenen Plateaus. Ein
Bild fast wie in den Savannen Ostafrikas. Früh wurde die Alva auch von Menschen
besiedelt. An vielen Stellen finden sich ihre Spuren. Seit der Eisenzeit
entstanden auch gewaltige Bauten und Burgen. Eine weitläufige Ringmauer umgab
die Häuser, deren Fundamente bis heute zu erkennen sind. In ihren Burgen lebten
die Menschen zwischen Ställen, Vorratshäusern und Werkstätten. Die Mauern
wurden aus den Steinen der Umgebung errichtet. Die Dächer waren aus Stroh oder
Schilf. Im Mittelalter entstanden die ersten Holzhäuser. Der alles schützende
mit Zinnen bewährte Wall ist bis 7 Meter hoch und machte die Siedlung fast
uneinnehmbar. Die frühen Öländer waren vor allem Viehbauern. Ihre Tiere trieben
sie auf die Alva, die Feldebene. Das Ackerland an der Küste war zu wertvoll, um
beweidet zu werden. Das Innere der Insel wiederum für den Feldbau zu karg. Nur
genügsame Pflanzen konnten hier überleben. Bis das Vieh weiden konnte, mussten
die Bauern erst zahllose Steine entfernen. An den Rändern der Weiden wurden sie
zu Mauern aufgeschichtet. Hunderte von Kilometern durchziehen diese Mauern die
Insel. Für den Kalkstein gab es aber noch weitaus lohnendere Verwendung. Im
zwölften Jahrhundert brachten Missionare die Steinmetzkunst auf die Insel. Auf
dem fruchtbaren Land aber, an der Küste, wurde seit jeher Ackerbau betrieben.
Die alten Streusiedlungen sind dort seit dem frühen Mittelalter Reihendörfern
gewichen – von Hofflächen, Wohngebäuden und Speichern umgeben. Zum Mahlen des
Korns errichteten die Ölländer Bockwindmühlen. Oft standen sie dort, wo es Wind
im Überfluss gab, in langen Reihen auf den hohen Strandwällen. In ihrer
Blütezeit, im 19. Jahrhundert waren es 2000, von denen heute noch 400 erhalten
sind. Der Wechsel in der Bauweise von Stein zu
Holz, veränderte die Insel
stark. Der Bedarf an Heizmaterial war enorm gestiegen, als man den Kalkstein
für die Mörtelgewinnung zu brennen begann. Große dichte Wälder hatte es noch um
das Jahr 1000 gegeben. Wenige Jahre später war der Holzreichtum dahin. Kaum ein
junger Trieb wuchs nach, denn unten weidete das Vieh. Aber aus der Zerstörung
einer Landschaft wurde eine andere geboren. Stora Alvaret ist auch von Menschen
gemacht. Selten war sie so weitläufig und offen wie in jenen Jahren.
Weißer Mauerpfeffer (Fetthenne)
Die Pflanzen der Alva benötigen viel Licht und können ohne Beweidung nicht
gedeihen. Im Schatten von Sträuchern und Bäumen würden sie verkümmern. Dank des
Viehs steht der Lauch in voller Pracht. Entlang der Küsten bevölkern unzählige
Zugvögel die Wiesen. An der Südspitze der Insel liegt ein ausgedehntes
Vogelschutzgebiet und eine Forschungsstation für Ornithologie. Für Ornithologen
ist Öland im Frühjahr und Spätsommer einer der wichtigsten Beobachtungsplätze
Skandinaviens. Haubentaucher und Goldregenpfeifer nisten in diesem Gebiet. Auch
der Goldregenpfeifer braucht freie Sicht und kann nur in einer offenen
Landschaft leben. Der sonst frische Wind weicht im Juli stillen Tagen und
großer Hitze. Das Wasser ist schon lange versiegt und in der bevorstehenden
Dürre bleibt dem Vieh nur noch das trockene Gras. Bald wird es auf die
Strandwiesen ziehen. Über Jahrtausende ist es nie anders gewesen. Ein eisiger
Winter, dann Wasser im Überfluss und ein Sommer der im Staub versinkt. Doch wie
durch ein Wunder entspringt der Kargheit immer wieder neues Leben und den
Menschen ist sogar bescheidenen Wohlstand erwachsen, durch Genügsamkeit und
Anpassung an eine der bizarrsten Landschaften Nordeuropas – Ölands Stora
Alvaret. Die Agrarlandschaft von Südöland wurde im Jahr 2000 von der UNESCO zum
11. schwedischen Weltkulturerbe erklärt.
|