In den Waldregionen Mittelschwedens, in Närke, Gästrikland, Ostergötland,
Dalarna, Värmland und Uppland, kann man überall
die Spuren einer frühen industriellen Zivilisation finden. Weit übers Land
verstreut liegen dort die typischen Gruben-, Mühlen- und Hüttenorte, die man in
Schweden brukssamhälle nennt. Eine solche Ansiedlung führt dem Besucher
heute noch das Bild eines utopischen Gemeinwesens aus dem achtzehnten
Jahrhundert vor Augen. An einem öden Küstenstrich bei Öregrund in Uppland, eineinhalb Fahrstunden
nördlich von Stockholm, etwa zwei Kilometer östlich des Reaktors liegt das
Museum Forsmark Bruk, eine Ansiedlung aus dem achtzehnten Jahrhundert, die auf
den heutigen Besucher ausgesprochen idyllisch wirkt. Die drei großen Teiche, von
alten Bäumen umstanden, waren nie zum Vergnügen der Besitzer da. Sie sind als
Stauseen konzipiert und haben Jahrhunderte lang
einem Eisenwerk als Energiequelle gedient. In den Häuserzeilen des Gutes wohnten
keine Bauern, sondern Hüttenarbeiter und Schmiede. In den Ställen standen keine
Kühe, sondern Pferde zum Transport von Erz und Fertigwaren. Forsmarksbruk ist
lange vor der industriellen Revolution entstanden. Schon im 16. Jahrhundert
standen hier Schmelzöfen, Hammerwerke, Mühlen, Schmieden, Gießereien, und lange
vor der Erfindung der Dampfmaschine blühte der Export von Stabeisen und
Messerstahl aus Uppland nach England und in die Länder des europäischen
Kontinents. Heute allerdings erinnert in Forsmark kein Schornstein und kein
Eisenhammer mehr an die Existenzgrundlage dieser kleinen Gemeinde. Der letzte
Hochofen wurde schon 1884 gelöscht, und gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts
schlossen die Werkstätten ihre Tore für immer. Seitdem herrscht in Forsmark die
trügerische Stille der Pietät, und in die gepflegten Wohnhäuser der Schmiede und
der Eisengießer sind die Sicherheitstechniker und Computerfachleute des nahen
Kernkraftwerkes eingezogen. Im Zentrum, von einem alten Park umgeben, liegt das Herrenhaus. Es
spiegelt sich im großen Wasserreservoir, dem wichtigsten Teil eines kunstvollen
hydraulischen Systems, das die Kräfte der Natur der menschlichen Vernunft
dienstbar machte. Jenseits des Wassers finden sich in symmetrischer Anordnung
die Wohnhäuser der Verwalter, der Meister und der Handlanger, daneben die
Schule, die Apotheke, die Wohnung des Arztes, der hölzerne Turm, dessen Glocke
die ganze Gemeinde zur Arbeit rief und die kleine, ebenso karge wie prächtige
Kirche, die zuweilen wie in Lövstabruk, einige Kilometer von Forsmark, mit einer
Barockorgel geschmückt ist. Es mutet wie ein Wunder an, dass, ein strukturell
armes, schwach bevölkertes Land wie Schweden vor dreihundert Jahren zum
führenden Eisen- und Stahlexporteur der Welt aufsteigen konnte. Diese Leistung
wäre undenkbar gewesen ohne jene soziale Phantasie, die sich in der planerischen
Gestalt der Bruks-Gemeinden zeigt. Jedem, der dort zu Hause war, stellte das Werk
zeitlebens Arbeitsplatz und Wohnung, gewährte Schulbildung und Seelsorge,
ärztliche Hilfe und Lebensunterhalt im Alter. Es war für alles gesorgt, für
die Wasserleitung und Kanalisation, Brennholz und Landhandel, Bildung und
Beleuchtung. Der Bruk war alles für alle, Arbeitgeber,
Sozialversicherung und
Altersheim zugleich, und niemand ging leer aus, auch nicht der Chor, der
Sportverein und das Blasorchester. Man müsste blind und taub sein, um in diesem
patriarchalischen Modell des Zusammenlebens nicht die Basis des schwedischen
Wohlfahrtsstaates zu erkennen. Und so wenig das heutige Schweden auch von seiner
politischen Geschichte, von seinen Eroberungskriegen und Großmachtträumen wissen
will, so sorgsam kümmern sich seine Manager, seine Sozialhistoriker und seine
Denkmalschützer um die Relikte dieser industriellen Vergangenheit. Nur eine knappe halbe Stunde weit entfernt, an der Straße nach Norden, im Wald,
auf kupiertem Gelände, stößt man auf eine Reihe von steilwandigen Schluchten, auf deren Grund ein
unheimliches, tiefgrünes Wasser steht. Man etwa 150 Meter in die Tiefe und
fragt sich, wie diese Krater entstanden sein mögen. Sie haben keinen Abfluss.
Kein Wildbach kann sie gegraben haben. Auch zeigen die nackten Felswände eine
eigentümliche Struktur, die sich geologisch nicht deuten lässt. Es handelt sich
um verlassene Gruben. Schon im späten Mittelalter wurde hier im Tagebau Eisenerz
abgebaut, zuerst nahe an der Oberfläche, dann immer tiefer. Damals gab es noch
kein Schießpulver. Die Risse im Gestein rühren nicht von den
Hämmern der Bergleute her. Sie sind durch Hitze entstanden. "Das Feuersetzen",
so heißt es in Handbüchern aus dem letzten Jahrhundert, ist eine uralte
bergmännische Gewinnungsarbeit, bei der der Berg durch Abbrennen
aufgeschichteter Holzscheite erhitzt, hier durch ausgedehnt und durch die darauf
folgende Abkühlung und Zusammenziehung zerklüftet wird. Erst später fing man
in dieser Mine, der Mossgruva, an, Stollen zu graben. Wer sich vom Anblick
dieser künstlichen Kraterlandschaft losreißt, findet an der Straße einen
achteckigen, ochsenblutroten Turm mit einer Wetterfahne, die die Jahreszahl 1876
trägt. Dieser hölzerne Förderturm erhebt sich über einem alten Schacht. Man
braucht nur die Straße zu überqueren, um auf das nächste Rätsel zu stoßen. Auf
einem kleinen Hügel steht ein rundes, zeltförmig überdachtes Gemäuer, das sich,
wenn man es genauer betrachtet, als ein Göpelwerk erweist. Von hier aus wurde
das Oberflächen- und Grundwasser der Mine abgepumpt. Dieses Schöpfwerk ist mit
einem doppelten Stangengang verbunden, der, an schweren Eichenträgern
aufgehängt, bergabwärts über ein Wendelager mehr als hundert Meter weit zu einer
Wassermühle führt – ein Stück phantastischer Architektur mitten in der Ödmark. Unten am Mühlkanal steht ein hochgiebeliges Holzhaus, in dem es nach Teer und
Wasser riecht. Es ist in seiner ganzen Höhe von einem riesigen oberschlächtigen
Mühlrad, dem so genannten Polhem-Rad ausgefüllt, das einen Durchmesser von
fünfzehn Metern hat. Eine sinnreiche Transmission aus Rädern, Pleueln und Hebeln
verwandelt die rotierende Bewegung des Mühlrads in das gegenläufige Hin und Her
des Stangengangs. So wird die Wasserenergie über eine weite Strecke hinweg auf
die Wasserführung des Bergwerks übertragen. Die ganze Konstruktion ist nach
ihrem Erfinder, dem genialen Ingenieur Christopher Polhem benannt, der auch in
Deutschland solche "Wasserkunstgezeuge" errichtet hat. Wer diese Relikte
ausgestorbener Techniken betrachtet hat, wird sie nicht so bald vergessen. Er
sieht die ganze Gegend mit anderen Augen an. Das Västmanland war schon in
vorgeschichtlicher Zeit ein Zentrum der Eisengewinnung. In den Gewässern dieser
Region kann man heute noch gelegentlich graue Knollen finden – See- und Sumpferz,
das bereits in der Eisenzeit aus der Tiefe geholt wurde. Die Eisenfischer
schlugen im Winter Löcher in das Eis und suchten den Seegrund danach ab. Später
folgte die Produktion den stufenförmig absteigenden Seensystemen. Die endlosen
Wälder lieferten Holzkohle, Brenn-, Bau- und Grubenholz. Die Wasserläufe dienten
als Energiequelle und Transportweg. Das Erz kam aus den Gruben. Bis in die
Gegenwart hinein hat die Industrie- und Bevölkerungsstruktur des Landes dieser
Logik gehorcht. Von der Rohstoffgewinnung flussabwärts zur Verhüttung, zur
Veredelung und zum Versand. Reisende, die sich Zeit nehmen, können diesen Weg heute noch verfolgen, und zwar auf
zweifache Weise: mit dem Kanu oder zu Fuß. Von Smedjebacken im Nordwesten bis
in den Mälarsee führt der alte Strömsholmkanal, der selber als ein
Industriedenkmal gelten kann. Er wurde 1787 fertig gestellt und diente dem Erz-
und Eisentransport. Mit seinen sechsundzwanzig Schleusen führt er über eine
Fallhöhe von vierzig Metern hundert Kilometer weit durch Flussläufe und Seen,
von denen der Åmänning der größte und schönste ist. Nur elf der hundert
Kilometer sind künstlich gegraben. Der Frachtverkehr kam zwar schon vor über
einem Jahrhundert zum Erliegen, aber der Kanal, inzwischen wiederhergestellt,
ist immer noch belebt. Im Sommer wimmelt er von paddelnden Touristen. Noch
abwechslungsreicher ist Bruksleden, zu Deutsch: der Hüttenpfad, ein 230 km
langer Wanderweg, der durch Wälder und Moore, an vielen Seen vorbei, von Avesta
bis Västerås führt. Unterwegs trifft man überall auf Spuren verschwundener
Werke: Bjurfors, Semla, Malingsbo, Bockhammar, Trummelsberg, Virsbo, Ramnäs sind
alte Brukgemeinden am Weg.
Südlich von Filipstad befindet sich die alte
Silbergrube Hornkullen (Silvergruvor),
in der bis 1847 Silbererz gebrochen wurde.
Engelsberg ist ein Ort
am Ostufer des Åmänning. Dort hat sich das Brukmilieu ziemlich intakt erhalten.
Man findet das Waaghaus und die Wassermühle unverändert vor, den Röstofen mit seinem Förderseil
und seinen Hunden, den Hochofen mit Gichtgasabzug und Gebläse sowie die alte
Schmiede mit ihren Essen, Hammerwerken, Luftpumpen und Werkzeugen. Die Eisenhütte
wurde schon 1919 stillgelegt. Stille herrscht auch in dem weißen Herrenhaus mit
dem grünen Walmdach, das aus dem achtzehnten Jahrhundert stammt und von zwei
runden Schmucktürmen aus grüner Schlacke flankiert wird.
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